Sinzig. Das war wirklich ein ungewöhnliches „Turmgespräch im Schloss“ des Fördervereins Denkmalpflege und Heimatmuseum. Nicht unbedingt wegen des Themas, obwohl die „Neuwieder Möbel zwischen Rokoko und Klassizismus“ durchaus eine hochinteressante und nicht sehr bekannte Episode aus der Regionalgeschichte darstellen. Ungewöhnlich waren die Umstände an diesem Abend, denn durch den technisch bedingten Ausfall des Beamers rückte die diesmal nur kleine Gruppe buchstäblich zusammen und versammelte sich um den Referenten, um die Bilder statt auf der Leinwand auf dem Laptop zu sehen.
Bernd Willscheid, der Leiter des Neuwieder Roentgen-Museums, sprach über das Lebenswerk von Abraham Roentgen und seines Sohnes David. Beide waren im 18. Jahrhundert absolute Meister der Möbelbaukunst, David Roentgen brachte es sogar zu hohem Ruhm. Seine damals topmodernen Luxusmöbel zierten die europäischen Fürstenhöfe zwischen Paris und St. Petersburg. In Neuwied läuft derzeit eine Ausstellung mit wertvollen, aus zahlreichen Orten zusammen getragenen Möbeln und anderen Exponaten. Auch das Sinziger Museum hat mit der Leihgabe von drei Bildern und Grafiken dazu beigetragen, wie Agnes Menacher, stellvertretende Vorsitzende und Leiterin des Sinziger Museums, bei der Begrüßung berichtete. Der Verein wird die Ausstellung im Zuge einer ganztägigen Exkursion am Samstag, 19. Oktober, besuchen.
Die Geschichte von Vater und Sohn Roentgen beschreibt nicht nur das Wirken zweier genialer Möbelbauer, sondern ist auch die Geschichte von Vertriebenen und Zugewanderten. Abraham Roentgen gehörte zu einer Gruppe der Herrnhuter Brüdergemeine, die um 1750 von ihrem Landesherrn wegen ihres protestantischen Glaubens ausgewiesen wurde. Der tolerante Herzog von Neuwied nahm sie auf, es entstand die bis heute erhaltene Herrnhuter Siedlung von Neuwied. Der Herrnhuter („In der Hut des Herrn“) waren sehr gläubige und prinzipientreue Christen, die das Miteinander und Füreinander pflegten und ihre Aufgaben ernst nahmen.
So auch der begabte Kunsttischler Abraham Roentgen. Seine Möbel fanden schnell Eingang in die regionalen Fürstenhäuser. Qualität und Eleganz überzeugten und sprachen sich herum. Hohe Erlöse standen durchaus im Einklang mit den Herrnhuter Glaubensgrundsätzen, geschah das doch alles zum Lobe Gottes. Das hatte aber auch seine Tücken, wie Bernd Willscheid in seinem spannenden Vortrag erzählte. Denn David Roentgen, ebenso begabt wie sein Vater und dabei der geschicktere Kaufmann, stand ständig in Konflikt zwischen Brüdergemeine und einem Leben auf größerem Fuß. Er wurde 1768 sogar ausgeschlossen und nach heftigem Bemühen Roentgens erst 1793 wieder aufgenommen, erst dann, als er seinen für die Zeit mit bis zu 80 Beschäftigten sehr großen Betrieb aufgegeben hatte.
So eindrucksvoll wie ihre Geschichte sind auch die Möbel der Roentgens. Schreibtische, Spieltische, Verwandlungstische, Schatullen, Musikautomaten gestaltet als Schachbrett, Standuhren, Kommoden und Sekretäre sowie komplette Zimmereinrichtungen im Stil des Rokoko, Biedermeier und Klassizismus zeigten sich im Vortrag auf sehr eindrucksvollen Bildern, überwiegend im Neuwieder Museum aufgenommen.
Ein Pferdefuhrwerk beladen mit Möbeln brauchte für die Strecke nach St. Petersburg drei Monate, fahren konnte es nur im Winter bei gefrorenem Boden. Bis zu 130 Möbel gingen auf die weite Reise. Das Schloss Versailles – hier war Roentgen Hoflieferant -, der Hof in Berlin, Bischofssitze und große Klöster waren weitere Ziele, aber niemand kaufte so viel wie die Zaren in Russland.
Mit der französischen Revolution 1789 und ihren Folgen begann der Stern der höchst solventen adeligen Kundschaft zu sinken. Zu dieser Zeit aber gab David Roentgen sein Geschäft ohnehin auf. Er engagierte sich in der Neuwieder Brüdergemeine und starb 1807 im Alter von 64 Jahren.
Die Zuhörer waren sichtlich beeindruckt von diesem Blick in alte Handwerkskunst, das Leben in den Fürstenhäusern und in die Religionsgeschichte. Agnes Menacher dankte Bernd Willscheid dafür und lud herzlich ein, an der Exkursion am 19. Oktober – genaue Zeiten werden noch bekannt gegeben – teilzunehmen.
© September 2019 – Museum Sinzig
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