Hoffnungsschimmer in
einer Kultur der Armut

Hildegard Ginzler sprach beim Denkmalverein
über die Bedeutung der Mausefallen aus dem Eifelort Neroth

Wer vor gut 200 Jahren mitten in der Eifel lebte, hatte es schwer – so schwer, dass er vor der Frage stand, für immer in fremde Kontinente auswandern zu müssen. „Es war eine Kultur der Armut“, so eröffnete Hildegard Ginzler ihren Vortrag im Sinziger Schloss im Rahmen der Turmgespräche des Fördervereins Denkmalpflege und Heimatmuseum. Hintergründe des mit großem Interesse und langem Beifall aufgenommenen Vortrags „Selbsthilfe statt Auswandern – Wie das Eifeldorf Neroth mit Mausefallen aus der Krise kam“ sind spannende Entwicklungen in dem Ort – und die Magisterarbeit der Volkskundlerin Hildegard Ginzler, die sie 1984 verfasst hatte.

Wenn die Bauen mit ihren kleinen Betrieben gerade so über das Jahr kommen, ohne für ihre Arbeit Geld einnehmen zu können, schlagen Missernten voll durch. So geschehen in der Eifel zwischen 1818 und 1843. Noch schlimmer traf es die landlosen Einwohner im Dienst der Bauern. In dieser schier ausweglosen Situation hatte der Junglehrer Theodor Kläs die Idee, in Heimarbeit angefertigte Mausefallen und andere Haushaltsgeräte aus Draht in Eigenregie zu verkaufen. Das klappte: „In Küche und Stube schaffte man am Draht“. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eroberten sich die Hausierer aus Neroth Märkte in der Ferne. Wohlhabende Bauern, bürgerliche Haushalte und Betriebe in den Städten – welche Bäckerei kämpfte nicht gegen Mäuse? – hatten Bedarf und kauften. Hildegard Ginzler hatte seinerzeit für ihre Magisterarbeit viele Zeitzeugen in Neroth ausführlich befragt, sie berichteten aus eigener Erfahrung und von Erzählungen der Vorfahren.

Ginzler schilderte eindrücklich die Folgen dieser sozialen Veränderung im Dorf. Die Händler verdienten Geld, brachten der Familie Geschenke mit und erzählten im Wirtshaus von ihren Erlebnissen, nicht ohne Übertreibungen. Das gefiel den Bauen gar nicht. Sie als Landbesitzer sahen auf die Landlosen („Wer nichts hat, der ist auch nichts…“) herab und missgönnten ihnen den Erfolg. Und deshalb stiegen sie auch nicht in das Geschäftsmodell ein. Auch für die Händler war nicht alles schön. Sie erlebten in der Fremde manchmal Einsamkeit oder gerieten in Gefahr. Einer wurde sogar ermordet. Ganz erstaunlich: Auch Frauen gingen auf Verkaufstour, wie die Männer immer zu zweit. Ein großer Schritt zur Emanzipation im 19. Jahrhundert!

Hoffnungsschimmer in einer Kultur der Armut
Hildegard Ginzler hatte auch "greifbare" Belege aus ihrer Arbeit mitgebracht.

Immer mehr Menschen sahen ihre Chancen im Drahtwarenhandel. Im nahen Neunkirchen entstand eine Drahtgenossenschaft, in Gerolstein ein Drahtwarenwerk. Ab 1871 reisten die Händler per Eisenbahn in die Absatzgebiete, der Markt wuchs. Das aber führte bald zum Abschwung, das Angebot übertraf die Nachfrage, die Preise gerieten Ende des 19. Jahrhunderts ins Rutschen. Immer schneller kamen Veränderungen über die Menschen in der Eifel. Der Geldverkehr war nirgends mehr aufzuhalten, der stationäre Einzelhandel machte sich breit und nach 1945 startete der Versandhandel, das Geschäftsfeld der Hausierer und Händler schwand mehr und mehr. In Neroth erinnert heute das Mausefallenmuseum an die dramatische Geschichte aus dem Dorf.

Agnes Menacher, stellvertretende Vorsitzende des Denkmalvereins, würdigte zur Begrüßung die wissenschaftliche und journalistische Arbeit von Hildegard Ginzler, nachzuverfolgen auch in zahlreichen Publikationen für das HeimatMuseum Schloss Sinzig. und sie hatte dem Publikum nicht zu viel versprochen, das zeigte das große Interesse im gut besetzten Vortragssaal.

Text: Matthias Röcke

Fotos: Matthias Röcke

© Heimatmuseum Schloss Sinzig – September 2024

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