Wie schafft es ein Künstler, eine riesige neuromanische Kirche komplett mit Wand- und Deckengemälden auszustatten – Langhaus, Chor, Seitenschiffe und Absiden, in bis zu 22 Metern Höhe? Diese gewaltige Aufgabe bewältigte in der Zeit von 1882 bis 1888 der Sinziger Maler Carl Christian Andreae im ungarischen Pécs – heutzutage hätte das sicherlich eine hohe mediale Aufmerksamkeit erregt. Für einen spannenden Vortrag gibt der erstaunliche, rund 140 Jahre zurückliegende Vorgang aber immerhin noch genügend Stoff her.
Im Rahmen der Turmgespräche im Schloss des Fördervereins Denkmalpflege und Heimatmuseum in Sinzig präsentierte Rudolf Menacher, ehrenamtlicher Mitarbeiter im Museum, die Arbeit Andreaes an Hand einer Fülle von Quellen, Querverweisen und Motivvorbildern. Ihn unterstützte seine Frau Agnes Menacher, Leiterin des Museums, indem sie Texte des Künstlers zum Geschehen vortrug. Basis dafür ist ein rund achteinhalb Jahre später vom Künstler gestaltetes Album, von dem das Museum eine Kopie besitzt. Das Original ist beim Einsturz des Kölner Archivs 2009 verloren gegangen. Andreae (1823 – 1904) war 1881 von Dresden nach Sinzig gezogen in die Villa Helenaberg, die seine Eltern bewohnt hatten. Er war der Schwager des Schlosserbauers Gustav Bunge und galt als bedeutender Vertreter der Düsseldorfer Malerschule. Das Sinziger Museum hat mehr als 600 Skizzen und Gemälde von ihm.
Eines machte Rudolf Menacher gleich zu Beginn klar: Carl-Christian Andreae allein konnte das gar nicht schaffen, auch nicht in fünf Sommern. Er hatte einen Helferstab, versierte Maler übertrugen seine Skizzen auf die passende Größe und brachten sie an Wand und Decke oder schufen auch ganze Figuren selbst. Es entstand eine gut funktionierende, höchst produktive Werkstatt vor Ort. Der Referent verriet auch das große Geheimnis der seinerzeit so populären Historienmalerei: Je weiter weg vom Betrachter, umso ungenauer durften die Bilder ausfallen. Deshalb sind die Malereien in den nicht so weit aufragenden Querschiffen sehr präzise, die Köpfe an der 22 Meter hohen Decke dagegen „großzügig“ ausgeführt. Drei Meter hohe Darstellungen in entsprechender Breite, Jesus Christus, die Apostel, Engel und Heilige sowie Szenen aus der Bibel machten die Kirche in einer unglaublichen Fülle bunt. Die Kathedrale St. Peter und Paul in Pécs war ursprünglich ein romanischer Bau, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts klassizistisch umgestaltet wurde. Das wollte der Bischof mit der neuromanischen Ausgestaltung rückgängig machen.
Die vielen biblischen Motive an Wänden und Decken brauchten Figuren, und dafür brauchte Andreae Vorbilder. Rudolf Menacher ist zahlreichen Vorbildern auf die Spur gekommen, Darstellungen aus anderen Kirchen, auf Gemälden oder auch Modellen. In Rom, wo sich Andreae oft im Winter aufhielt, um nach Vorbildern und anderen Motiven zu suchen, war es üblich, gegen Honorar Modell zum stehen.Eine Fotografin aus Rom, die dem Künstler „Engelsköpfe“ liefern sollte, setzte sich per Selfie in Szene. In Sinzig aber genierte man sich ….
Ein himmelhohes Gerüst, von Erdgeschoss bis unter die Decke, so beschreibt Andreae die Arbeitsbedingungen in der Kirche. „Da wurde es mir bänglich zumut“. Arbeiten in kreativer Ruhe gab es nicht, denn bis zu 500 Mann waren gleichzeitig am Werk, Schmied, Zimmermann und Steinmetz machten Lärm und alle sprachen, was Andreae sehr missfiel, reichlich dem Knoblauch zu. Zum Malen der „Heilandköpfe erbat sich Andreae deshalb die Erlaubnis, am „heiligen“ Sonntag in der leeren Kirche zu arbeiten. Andreae war ein religiöser Mensch, dem eine angemessene Ausführung der Bilder sehr am Herzen lag.
Auch mit seinen Helfern hatte es der Maler nicht immer leicht. Der wichtigste Mitarbeiter stehe ihm beim Malen“famos zur Seite“, bringe ihn aber „persönlich fast zur Verzweiflung“. Einmal gab es auch Ärger mit dem Auftraggeber, dem Bischof von Pécs und dem Bau-Komitee. Andreae sollte, was ihm bis dato nicht bekannt war, 15 Prozent Gewinnsteuer abführen: 600 Gulden. Er protestierte vergeblich. „In Prozentrechnen war er offenbar schwach, ich habe es nachgerechnet, es waren nur 11,5 Prozent“, so Rudolf Menacher.
Die gefühlsbetonte Darstellung christlicher Frömmigkeit war typisch für ihre Zeit, unabhängig davon, wie man sie heute künstlerisch einschätzt – so Rudolf Menacher zum Schluss. Matthias Röcke, stellvertretender Vorsitzender des Denkmalvereins, dankte unter großem Beifall des sehr interessierten Publikums für die tief reichenden Einblicke in die Epoche und in eine Geschichte, die in Sinzig ihren Anfang nahm.
Text: Matthias Röcke
Fotos: Matthias Röcke
© HeimatMuseum Schloss Sinzig – Oktober 2024
© Denkmalverein – Sinzig 2024
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