1857: Turgenev in Sinzig

I. S. Turgenev (1818-1883), russischer Schriftsteller von Weltgeltung, Zeitgenosse von Dostoevskij und Tolstoj, kam am 3. Juli 1857 nach Sinzig, von wo er am 31. Juli (vorzeitig) wieder abreiste.

Eine Trink- und Badekur sollte ihm Linderung seiner Schmerzen schaffen. Am 12. Juli begann er hier seine Erzählung Asja zu schreiben, deren Handlung er in diesem Raum ablaufen lässt.

Er hat in dieser Zeit aber auch Briefe an Tochter, Freunde und Bekannte geschrieben. Diese Briefe zeigen uns nicht nur einen Blick auf die Gegend, in der Turgenev sich befindet, sondern auch auf den Autor selbst.

Turgenev Beziehung zu Sinzig ist im Hinblick auf seine Erzählung Asja in der Literatur, wenn auch jeweils nur kurz, immer wieder einmal thematisiert worden.

1982 hat der Magdeburger Slavist Klaus Dornacher auch einen kurzen Artikel über ‚Turgenev in Sinzig’ geschrieben, der, soweit ich feststellen konnte, wohl nur in einer russischen Variante veröffentlicht wurde. Bei der Betrachtung der Asja wurde immer wieder auf einzelne der ‚Sinziger Briefe’, wie ich sie nennen möchte, zurückgegriffen – allerdings immer nur soweit, wie sie im Zusammenhand mit der Erzählung stehen. Andere Briefe wurden ebenfalls einzeln in anderen Zusammenhängen herangezogen und erörtert. Eine zusammenhängende Betrachtung aller Briefe aus Sinzig, die sich auf die Briefe selbst richtet, gibt es, soweit ich sehe, bisher nicht. Dabei ist es durchaus spannend, zu sehen bzw. zu lesen, womit sich Turgenev in diesen Tagen beschäftigt.

1857: Turgenev in Sinzig
Dieses Porträt hat A. P. Nikitin 1857 in Sinzig von Turgenev gezeichnet.

Seine Briefe berichten über Turgenevs Englandaufenthalt kurz bevor er nach Sinzig kam, über seine Gründe nach Sinzig zu gehen, über Geschäftliches (freundschaftlich und ärgerlich), über Einzelpersonen (u. a. erfährt man, warum L. Tolstoj nicht nach Sinzig kam, obwohl er schon auf dem Wege hierher war), es gibt zwei Glückwunschschreiben zur Geburt eines Kindes, einiges über die verschiedenen Stadien der Kur und Dinge, die sich unmittelbar auf die Adressaten beziehen. Auch zwei Bemerkungen zur aktuellen innenpolitischen Problemen Russlands (Geheimpolizei und Leibeigenschaft) sind zu finden. Ein ‚Glanzstück’ an pointierter, geradezu satirischer Personenschilderung (A. J. Panaeva) ist der Brief vom 6. 7. 1857 (Nr. 609). Lesenswert sind seine Darstellungen zu Tolstoj (Roulette- und Familienprobleme). Dem schönen Gratulationsschreiben an Mme Viardot muss man eine gewisse künstlerische Gestaltung zusprechen (mit einem herrlichen „Alaaf Köln! (das ist ein Freudenruf, den man nur in Köln gebraucht, aber ich finde, dass er gut tut).“)

Was aber sagen die Briefe über die Zeit in Sinzig und über Turgenevs Wahrnehmung von der Umgebung und dem Ort, in dem er „begann, die Erzählung Asja zu schreiben, deren Handlung in ’S’ abläuft, d. h. in eben diesem Sinzig, das sehr detailliert und genau beschrieben ist.“? Von der Umgebung Sinzigs berichtet Turgenev verschiedentlich, wenn auch nicht allzu ausführlich, z. B.: „Vor den Fenstern ein weites Tal, bedeckt von Getreiden jeglicher Art und von Obstbäumen – aber am Horizont die gezähnte Linie der Berge, die am rechten Rheinufer liegen. Ein schöner Ort – aber wenig Schatten.“

Auf seine begonnene Erzählung geht er nicht näher ein, erwähnt nur : „Ich bringe eine Erzählung mit, die ich hier begonnen habe…“

Aber auch seine Art, Briefe zu schreiben (Aufbau, Themenwahl, Sprache), ist der Betrachtung wert, zumal diese Briefe offensichtlich nicht auf eine Veröffentlichung ausgerichtet und dementsprechend ‚literarisch’ überformt sind. Für mich geben sie dem Leser einem unverstellten Blick auf den Menschen Turgenev.

Hannes Rötter

© Heimatmuseum Schloss Sinzig – 2010

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